„Neues zu entdecken macht süchtig“

Portrait des Gründungsdirektors Gene Myers

Gene Myers ist Gründungsdirektor des Zentrums für Systembiologie in Dresden. (Quelle: MPI-CBG)

In Dresden hat das neue Zentrum für Systembiologie eröffnet. Gründungsdirektor Gene Myers ist ein Grenzgänger in jeder Hinsicht. Der US-Amerikaner hat maßgeblich zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms beigetragen. Ein Interview mit systembiologie.de.

Von Gesa Terstiege und Melanie Bergs

systembiologie.de: Sie sind gerade in das neu erbaute Zentrum für Systembiologie in Dresden gezogen. Wie gefällt Ihnen Ihr Arbeitsplatz?

Gene Myers: Ausgezeichnet, die Architekten haben tolle Arbeit geleistet. Es ist nicht nur ein schönes, lichtdurchflutetes Gebäude mit großen Fenstern entstanden, das neue Zentrum bietet auch ein optimales Forschungsumfeld. Wir Wissenschaftler haben uns bei der Planung mit eingebracht. So ist etwa im Keller eine „Virtual Reality Cave“ entstanden, ein Raum in dem unsere Mikroskopie-Aufnahmen im Raum dreidimensional erlebbar werden. Eine weitere Besonderheit ist, dass wir das gesamte Dachgeschoss für Gastwissenschaftler reserviert haben. Wir wollen Forscher aus der ganzen Welt zu uns holen. Sie sollen von einer Woche bis zu einem Jahr hier arbeiten können.

Vor fünf Jahren sind Sie aus den USA nach Dresden gekommen. Was hat Sie dazu bewegt?

Ich kenne Dresden schon seit 2003 und war sofort begeistert von der Stadt. Damals habe ich den Max-Planck-Forschungspreis erhalten. Ich habe die Arbeit der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik kennengelernt und war von Beginn an fasziniert. Sie konnten live am Mikroskop verfolgen, was in einer lebenden Zelle passiert. Dieses Thema hat mich von da an nicht mehr losgelassen. Ich wollte mit diesen Forschern zusammenarbeiten. Zudem war das Leben in Deutschland für meine Frau und mich ein Abenteuer. Ich mag das Land und die Leute. Ich hoffe, eines Tages kann ich auch einen deutschen Pass bekommen.

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zwischen dem Forschungssystem in Deutschland und in den USA?

In den USA wird seit Jahren immer weniger in Forschung investiert, vor allem in Grundlagenforschung. Es ist für Wissenschaftler daher immer schwieriger geworden, Fördergelder zu bekommen. Deutschland dagegen unterstützt die Grundlagenforschung weitreichend. Ich denke, es spielt eine zentrale Rolle, dass viele Politiker aus der Wissenschaft kommen, Kanzlerin Merkel ebenso wie Bundesforschungsministerin Wanka oder der sächsische Ministerpräsident Tillich, der Diplomingenieur ist. Das erleichtert die Kommunikation ungemein. In Amerika sind die Politiker dagegen überwiegend Juristen. Sie verstehen weniger von zukunftsweisenden Technologien und konzentrieren sich auf die Gegenwart. Deutschen Politikern ist dagegen klar, dass man auch in die Zukunft investieren muss. Was ich hier zudem sehr schätze, ist die hohe technische Professionalität. Deutschland ist eines der Länder mit der besten Ingenieurtechnik auf der ganzen Welt. Wenn man moderne hochauflösende Mikroskope baut wie ich es tue, ist Deutschland der ideale Ort dafür. Hier gibt es die Leute, mit denen man das erreichen kann.

"Durch den Einsatz von Computern können wir Mikroskope intelligenter machen"

Im Jahr 2000 haben Sie maßgeblich dazu beigetragen, das menschliche Genom zu entschlüsseln. Das hierfür entwickelte Programm wird heute weltweit einsetzt. Heute entwickeln Sie Mikroskope. Wie kam es zu dem Wechsel?

Nachdem wir das menschliche Genom entschlüsselt hatten, ist mir klargeworden, dass wir biologische Phänomene nicht verstehen werden, wenn wir uns nur die Gensequenz anschauen. Man muss sich auch ansehen, was die Gene bewirken, wie sich die Zellen mit der Zeit entwickeln und wie sie sich im Raum verhalten. Als ich die ersten digitalen Filme von Mikroskopie-Aufnahmen hier in Dresden gesehen habe, war ich begeistert. Die Auswertung und Interpretation der Aufnahmen war allerdings rudimentär und wurde händisch von den Wissenschaftlern vorgenommen. Ich habe damals sofort gedacht: Ich kann eine Software schreiben, die die Bildanalyse übernimmt. Ich sah ein neues Forschungsfeld entstehen und ich wollte dabei sein. Als ich mich näher damit beschäftigt habe, habe ich schnell erkannt, dass uns die Mikroskope und nicht die Software die Grenzen setzen. Die Auflösung und die Geschwindigkeit der Mikroskope waren einfach nicht ausreichend. Es gab kein Mikroskop auf dem Markt, mit dem wir unsere biologischen Fragestellungen hätten beantworten können. Da wir keinen Hersteller finden konnten, der ein solches Mikroskop für uns bauen wollte – haben wir es schließlich selbst getan. So bin ich zur Mikroskop-Entwicklung gekommen. Es war ein Akt der Verzweiflung.

Was ist das Besondere an Ihren Mikroskopen? Was machen Sie anders?

Die physikalischen Grenzen werden wir mit unserem Mikroskop nicht verschieben können, aber durch den Einsatz von Computern können wir die Mikroskope intelligenter machen – ähnlich wie es schon bei digitalen Kameras funktioniert. Zum einen kann man sich bei unseren Mikroskopen die Bilder in Echtzeit ansehen. Außerdem können wir Verzerrungen rausrechnen. Denn die Zellen, die wir untersuchen wollen, sind oft von einer dichten Gewebeschicht verdeckt. Das müssen Sie sich wie bei einem Fisch im Gartenteich vorstellen. Das Wasser über dem Fisch stört unseren Blick. Mit unseren Algorithmen können wir das Wasser „wegrechnen“ und erhalten ein klares Bild des Fisches.

Was möchten Sie mit Ihren Mikroskopen sehen?

Wie sich ein Embryo entwickelt. Aus meiner Sicht sind diese neun Monate die spannendste Zeit unseres Lebens. Mich interessiert die Frage, wie aus einer einzelnen Zelle ein Organismus mit Armen, Beinen, Augen und einem Gehirn entstehen kann. Das ist alles in unserem Genom kodiert. Unser genetisches Programm wird in dieser Zeit vollständig genutzt. Wenn man verstehen will, wie das Genom funktioniert, muss man sich anschauen, wie es agiert. Das geht in dieser Phase am besten. Mein Traum ist ein digitales Modell der embryonalen Entwicklung zu bauen, in dem Fall einer Fliege. Mit unseren Mikroskopen wollen wir beobachten, wie sich jede einzelne Zelle bei der Entwicklung vom Ei zum Wurm mit 100.000 Zellen verhält. Das ist zunächst einmal ein technisches Ziel, aber wenn wir das erreicht haben, werden sich interessante Entdeckungen für meine Kollegen aus der Biologie ergeben.

Sie haben als Wissenschaftler immer wieder Neuland betreten. Was treibt Sie dabei an?

Es geht nicht unbedingt um das Ziel, sondern um die Frage, wie aufregend der Weg dorthin ist. Ich liebe die Aufregung, das ist auch der Grund, warum ich so gerne mit jungen Menschen zusammenarbeite: die Ideen, die Kreativität, die Suche nach Verknüpfungen zwischen den Dingen, all die Möglichkeiten. Es ist ein unglaubliches Gefühl, etwas Neues zu entdecken. Man will es wieder und wieder haben. Es macht süchtig.

Kontakt

Prof. Dr. Eugene W. Myers
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
myers@mpi-cbg.de

www.mpi-cbg.de