"Die ethische Diskussion zu Big Data steht noch ganz am Anfang"

Portrait der Systembiologin Ursula Klingmüller

Die Systembiologie-Professorin Ursula Klingmüller sitzt als eine von drei Naturwissenschaftlern im Deutschen Ethikrat. (Quelle: Jörg Müller, Hamburg)

Interview mit Prof. Ursula Klingmüller, Systembiologin im Deutschen Ethikrat

Die Nachricht kam für sie überraschend: Ursula Klingmüller wurde als Expertin in den Deutschen Ethikrat berufen. Im Interview erzählt die Biologin, welche Akzente sie setzen möchte und wo für sie die Grenzen der Forschungsfreiheit liegen.

systembiologie.de: Im Deutschen Ethikrat sind Sie eine von drei Naturwissenschaftlern. Wie wollen Sie Ihre Perspektive als Biologin einbringen?

Prof. Dr. Ursula Klingmüller: Mir macht es viel Spaß, diese Form der interdisziplinären Zusammenarbeit kennenzulernen. Unter den anderen Mitgliedern des Ethikrats sind Juristen, Theologen oder Philosophen. Sie eröffnen mir ganz neue Perspektiven auf einzelne Themen. Es ist jedoch auch wichtig, dass wir Naturwissenschaftler dabei sind. Ich sehe meine Rolle darin, eine gewisse technische Hintergrundinformation in die Diskussionen über neue Technologien einzubringen und auch Grenzen zu erläutern. Ich kann so zum Beispiel neue Ansätze wie die Gentherapie genau erklären. Denn sehr oft entstehen Konflikte dadurch, dass man aneinander vorbeiredet, weil die Begriffe unterschiedlich belegt sind.

Bei welchen Themen wollen Sie Akzente setzen?

Einer meiner Themenschwerpunkte wird Big Data in der Medizin sein. Hier steht die ethische Diskussion noch ganz am Anfang. Mein Anliegen ist es, die Qualitätssicherung auf diesem Gebiet voranzubringen. Das ist essentiell, denn letztendlich sollen die Daten als Grundlage für ärztliche Entscheidungen dienen. Die Kollegen, die mit Biobanken arbeiten und für die Aufbewahrung etwa von Gewebeproben zuständig sind, beklagen häufig, dass Patienten ihre Proben einfordern und diese bei irgendwelchen Firmen analysieren lassen. Mit diesen Ergebnissen laufen sie anschließend zum Arzt und erwarten konkrete Therapieentscheidungen. Und das birgt große Gefahren, einerseits in der Analysequalität aber auch beim Datenschutz. Big Data eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, aber es muss auch eine Zertifizierung für die Auswertung der Daten geben.

"Hundertprozentige Sicherheit gibt es im Leben einfach nicht"

Ein großes Thema in diesem Zusammenhang ist wie Sie sagen die Datensicherheit. Gerade für die Personalisierte Medizin ist die Erfassung zahlreicher Daten der einzelnen Patienten jedoch nötig. Sehen Sie die Gefahr, dass diese Daten auch missbräuchlich verwendet werden könnten?

Es ist leider immer so, dass neue Möglichkeiten auch missbraucht werden können. Deshalb muss alles dafür getan werden, das zu verhindern und gleichzeitig die Daten zum Wohle des Patienten zugänglich zu machen. Es bringt ja auch nichts, wenn wir beim Datenschutz übers Ziel hinausschießen und somit die Potentiale von Forschung und Innovation einschränken. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es im Leben einfach nicht.

Der Fortschritt in der biomedizinischen Forschung macht auch individuelle diagnostische Tests möglich. Sie können etwa das persönliche Risiko eines Menschen voraussagen, an einer bestimmten Krebsart zu erkranken. Ist diese Gewissheit immer gut?

Jeder Einzelne muss für sich persönlich entscheiden, wie viel er über seinen Gesundheitszustand wissen möchte. Diese Freiheit muss man den Patienten zugestehen. Einerseits eröffnet das Wissen um ein persönliches Risiko die Möglichkeit, gezielt vorzubeugen. Solche Ergebnisse können die Betroffenen andererseits jedoch psychisch stark belasten. Da kommt es auf die gute Kommunikation zwischen Arzt und Patienten an. Wenn man jemandem einfach alle Risiken aufzählt, die er für bestimmte Erkrankungen hat, ist die Verunsicherung größer als der Gewinn. Man muss dem Patienten allerdings auch die Chance geben, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen.

"Wir müssen die Daten auch verstehen"

Inwieweit lässt sich die Vision einer personalisierten, also auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen Medizin angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitssystem überhaupt umsetzen?

Ich glaube, dass wir sehr viel Geld einsparen können, wenn wir die Personalisierte Medizin klug einsetzen und die Qualität sichern. Maßgeschneiderte Therapien machen es möglich, dass ein Patient nur die für ihn passende Behandlung bekommt. So kann unter Umständen auch die Dosierung eines Medikaments verringert werden, weil man festgestellt hat, dass ein bestimmter Patient auf eine Therapie viel besser anspricht als andere. Aber um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir weiterhin in die Forschung investieren. Das bloße Anhäufen von Patientendaten nutzt niemandem. Wir müssen die Daten auch verstehen.

Haben Sie sich zuvor bereits mit der ethischen Dimension Ihrer Arbeit beschäftigt?

Bisher kaum, da ich Grundlagenforscherin bin. Aber wir nähern uns mit unserer Forschungsarbeit zum Thema Krebs immer mehr dem klinischen Bereich an und gelangen damit in die Nähe der Patienten und der Unterstützung von Therapieentscheidungen. Da stellt sich natürlich auch die Frage, wer die Verantwortung trägt, wenn mal etwas schief läuft.

Wo liegen für Sie die Grenzen der Forschungsfreiheit, insbesondere in den Lebenswissenschaften?

Optimierung etwa von Embryonen halte ich für problematisch, überhaupt jegliche Tendenzen zur Selbstoptimierung des Menschen. Das sind für mich im Grunde alle Eingriffe, die nicht dazu dienen, einem Schwerkranken ein besseres Leben zu ermöglichen.

Das Interview führten Gesa Terstiege und Melanie Bergs.

 

Zur Person

Ursula Klingmüller arbeitet am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Seit 2007 leitet sie die Abteilung für Systembiologie der Signaltransduktion. Außerdem ist sie Professorin an der Universität Heidelberg. Gemeinsam mit ihren Kollegen untersucht sie die komplexen Kommunikationswege der Zellen im menschlichen Körper, insbesondere bei Krebserkrankungen. Das Bundesforschungsministerium fördert mehrere Forschungsprojekte, an denen Klingmüller beteiligt ist.

Kontakt

Prof. Dr. Ursula Klingmüller
Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg
u.klingmueller@dkfz.de
www.dkfz.de