Sie ist das größte Organ im Körper und hält viel aus: Nimmt die Leber einmal Schaden, kann sie bis zur Hälfte ihres Gewebes regenerieren. „Das schafft sonst kein Organ“, sagt Leber-Forscher Jan Hengstler im Interview mit systembiologie.de. Doch er kennt auch die Grenzen. Das Bundesforschungsministerium unterstützt seine Forschungsarbeit unter anderm im Rahmen der Fördermaßnahme "LiSyM".

systembiologie.de: Welche Rolle spielt die Leber in unserem Körper und warum ist sie ein so interessantes Forschungsobjekt?

Jan Hengstler: Die Leber ist die Stoffwechselfabrik unseres Körpers. Alles was wir schlucken, muss zunächst durch sie hindurch, bevor es in den normalen Blutkreislauf gelangt. Idealerweise wird dabei alles, was für den Organismus schädlich wäre, entgiftet. Aber die Leber ist dadurch auch in einer gefährdeten Position. Sie bekommt alle Gifte, die wir aufnehmen, in geballter Form ab. Damit ist sie natürlich für einen Toxikologen wie mich das interessanteste Organ des menschlichen Körpers.

Mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Lebererkrankung. Wodurch können diese Krankheiten entstehen?

Es gibt viele Ursachen für eine kranke Leber. Häufig ist Alkohol oder Übergewicht im Spiel. Dann gibt es verschiedene Viruserkrankungen, die Leberschäden verursachen, aber auch erbliche Lebererkrankungen. Und Leberschäden können auch durch Chemikalien oder Medikamente hervorgerufen werden.

Sie untersuchen solche Leberschädigungen durch Medikamente in einem ihrer Forschungsprojekte. Was passiert dabei genau?

Zunächst gelangt das Medikament zumeist in relativ hoher Konzentration in die Leber und kann dort verschiedene Funktionen stören oder zum Absterben von Leberzellen führen. Dann entsteht ein totes Areal. Aber darauf ist die Leber gut vorbereitet. Im Laufe der Evolution haben sich Pflanzen- und Allesfresser wie wir daran gewöhnt, giftige Pflanzen zu sich zu nehmen. Dadurch hat die Leber das Potential entwickelt, einmalige Schäden zu regenerieren. Es kann sogar bis zur Hälfte des Lebergewebes absterben und sich hinterher wieder aufbauen. Von allen Organen hat nur die Leber die Fähigkeit so effizient zu regenerieren. Die Regeneration funktioniert jedoch nicht so gut, wenn wiederholt giftige Substanzen in den Körper gelangen. Bei einer wiederholten Schädigung kann es zu einer Vernarbung kommen. Dann wird die Architektur des Organs verändert und dies führt im schlimmsten Fall zu einer Leberzirrhose, die tödlich enden kann.

Sie analysieren diese Abläufe am Beispiel von Paracetamol, einem sehr gängigen und nicht verschreibungspflichtigen Medikament. Wann kann es schädlich wirken?

Paracetamol ist als Medikament in der therapeutischen Dosis absolut harmlos. Bis zu drei Gramm kann man täglich problemlos gegen Fieber oder Schmerzen einnehmen. Wenn diese Grenze jedoch nur ein wenig überschritten wird, entstehen sehr häufig Leberschäden. Paracetamol ist als Modellsubstanz für die Forschung so interessant, weil genau bekannt ist, bis wann es harmlos und ab wann es giftig wirkt. Somit können wir ein generelles Verständnis darüber gewinnen, wie man erkennen kann, ob Medikamente für die Leber schädlich sind.

"Schneller und sicherer als bisherige Methoden"

Wie gehen Sie vor, um die Wirkung von Medikamenten auf den Menschen zu testen?

Wir untersuchen viele verschiedene Substanzen und verbessern so nach und nach unsere Vorhersagen zur Toxizität im Menschen. Dafür kultivieren wir menschliche Leberzellen im Labor und setzen dann den Wirkstoff, der uns interessiert, in bekannten Konzentrationen hinzu. Von vielen Medikamenten weiß man, ab welcher Blutkonzentration sie giftig wirken. Wenn man genau bei diesem Wert auch einen Schaden in der Zellkultur beobachten kann, ist das ein Beleg dafür, dass wir richtige Vorhersagen treffen können. Bei einigen Substanzen ist es jedoch komplizierter und die Schädigung im Menschen tritt schon bei einer geringeren Konzentration auf. Dann suchen wir nach weiteren Indikatoren für Schädigungen, die über den Zelltod hinausgehen. Die Ergebnisse aus diesen Tests speisen wir in Computermodelle ein, um weitere physiologische Eigenschaften der Leber zu berücksichtigen. Zum Beispiel simulieren wir in der Pharmakokinetik den Stoffwechsel der Leber am Computer: Wieviel Substanz kommt wo im Organ an, wie wird sie verstoffwechselt und wann führt ein Wirkstoff zum Absterben der Zellen oder anderen Schäden.

Was ist das Ziel ihrer Forschung?

Mit der Kombination aus Zellkultur-Tests und Computermodellen wollen wir vorhersagen, ob eine neue Substanz schädlich ist und ab welcher aufgenommenen Dosis und auch welcher Konzentration im Blut mit Schäden zu rechnen ist. Eine solche Teststrategie ist schneller und kostengünstiger als bisherige Methoden – und könnte Medikamententests zudem noch sicherer machen. Darüber hinaus wollen wir dazu beitragen, künftig genauer das tatsächliche Leberschädigungsrisiko von Patienten einschätzen zu können. Das hängt von der genetischen Veranlagung ab. So kommt es immer wieder vor, dass Medikamente wieder vom Markt genommen oder gar nicht erst zugelassen werden, weil sie bei bestimmten Personen zu Leberschädigungen führen. Mit unserem Testsystem wäre es in Zukunft möglich, Patienten mit einem geringen Leberschädigungsrisiko dennoch mit diesen Medikamenten zu behandeln. Dadurch würden ihnen weitere wertvolle Behandlungsoptionen eröffnet.

"Ein Drittel der Deutschen hat eine Fettleber"

Könnte Ihre Forschung auch dazu beitragen, Tierversuche zu ersetzen?

Das ist auf jeden Fall unser Plan. Wenn unsere Tests einige Jahre neben den gesetzlich vorgeschriebenen Test mitgelaufen sind und man sieht, die hätten das genauso gut vorhergesagt, dann ist dies möglich. Es sind immer kleine Fortschritte, die gut abgesichert werden müssen, bis man ohne Risiko Tierversuche ersetzen kann.

Was kann jeder von uns tun, um seine Leber zu schonen?

Es helfen vor allem zwei Dinge: ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung. Ein Drittel der Deutschen hat inzwischen eine Fettleber – das ist unglaublich. Dann sind die Leberzellen voll mit Fett-Tröpfchen. Das ist an sich nicht schädlich. Die Leber funktioniert dann noch, ist allerdings für bestimmte Lebererkrankungen wie Leberzirrhose deutlich anfälliger. Auch das Tumor-Risiko steigt. Das Fett aus der Leber kann zum Glück auch wieder abgebaut werden. Es lohnt sich also immer, ein gesundes Leben zu beginnen.

Das Gespräch führten Melanie Bergs und Gesa Terstiege.