Gruppenleiterinnen sind in der Bioinformatik noch immer in der Minderheit. Janine Felden ist eine von ihnen. Im Interview mit systembiologie.de spricht sie über ihren Weg und was sich ändern sollte, damit mehr Frauen in diesem Bereich arbeiten.

systembiologie.de: Im Gegensatz zur Biologie sind Frauen in der Bioinformatik bislang in der Minderheit. Was schreckt die Frauen ab?

Dr. Janine Felden: Bei Bioinformatik denken manche Leute leider noch immer an Menschen, die allein im abgedunkelten Kellerraum vor ihren Rechnern sitzen. Ich denke dieses Bild schreckt gerade junge Frauen ab, die gerne sozial interagieren möchten. Bei einem grundsätzlichen Interesse für Biologie entscheiden sie sich dann doch lieber erstmal für die eher anwendungsorientierte Arbeit im Labor. Dabei hat Bioinformatik auch ganz viel mit Teamarbeit zu tun. Man ist sogar angewiesen auf einen regen Austausch mit vielen engagierten und kommunikativen Leuten. Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker sind alles andere als unsoziale Einsiedler. Im Verlauf eines Biologie-Studiums kann zum Glück auch immer noch das Interesse für Bioinformatik geweckt werden. Manchmal ist es eher die Frage, wie man den Zugang findet – es gibt viele Quereinsteigerinnen wie mich.

Wie sind Sie zur Bioinformatik gekommen?

Über viele Umwege. Ich habe zunächst Biologie studiert, weil mich Meeresforschung fasziniert hat und dort vor allem das mikrobielle Leben. Mikroorganismen steuern letztendlich das gesamte Leben auf unserem Planeten. Die Covid-19-Pandemie hat uns das nochmal eindrücklich gezeigt. Mikroorganismen kann man im Gegensatz zu Pflanzen und Tieren nicht allein an ihren äußeren Merkmalen unterscheiden. Erst über eine Analyse ihrer DNA mit Werkzeugen der Bioinformatik lassen sich die Mikroorganismen und ihre Eigenschaften eindeutig identifizieren. So bin ich erstmalig mit Bioinformatik in Berührung gekommen. Ich wollte verstehen: Wer ist da draußen? Und was machen die? Dafür brauchen wir die Bioinformatik. Sie stellt entsprechende Werkzeugen zur Verfügung und bildet die Grundlage für zahlreiche Labormethoden.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Im Gegensatz zum Klischee umfasst mein Arbeitstag viel Interaktion mit realen Menschen. In meinem Umfeld sind es eigentlich auch meistens gemischte Arbeitsgruppen. Männer und Frauen gehen durchaus unterschiedlich an Dinge heran, aber am Ende sind die Ergebnisse qualitativ gleichwertig. Für die Zusammenarbeit sind unterschiedliche Sichtweisen sogar förderlich. Meine Arbeitsgruppe kümmert sich im Rahmen der Datenbank PANGAEA hauptsächlich um das Veröffentlichen und Bereitstellen von wissenschaftlichen Daten. So können sie von allen gefunden, genutzt und wiederverwendet werden. Unsere tägliche Arbeit umfasst jedoch nicht nur das Organisieren und Integrieren von Daten. Wir befinden uns als Service-Plattform des deutschen Netzwerks für Bioinformatik ständig im Austausch mit unseren Nutzerinnen und Nutzern und begleiten die wissenschaftlichen Arbeiten von der Idee bis Veröffentlichung. Dafür unterstützen wir die Forscherinnen und Forscher bei ihrem Datenmanagement und ermöglichen eine Verknüpfung von DNA- und Umweltdaten. 

Was fasziniert Sie an der Bioinformatik?

Faszinierend ist für mich vor allem die Bandbreite an Fragen, die man mit bioinformatischen Werkzeugen beantworten kann. Die Bioinformatik hat uns dabei erstmal gezeigt, wie vielfältig unsere Umwelt ist. Mit nur einer einzigen Probe aus dem Meer können wir viele Fragen auf einmal beantworten z. B. Wer ist da? Was machen die? Es hat mich immer fasziniert, die größeren Zusammenhänge in und zwischen verschiedenen Ökosystemen zu verstehen. Aber auch in der Medizin gibt es spannende Themen. Krebsmedikamente werden heute zum Teil an der individuellen DNA-Sequenz der Erkrankten ausgerichtet und erhöhen so die Überlebenschance der Patientinnen und Patienten. Das wäre ohne Bioinformatik nicht möglich. Das finde ich unglaublich faszinierend. Außerdem ist es schön zu sehen, dass die Bioinformatik mittlerweile ein Impulsgeber für andere Wissenschaften ist. Die Verarbeitung von großen Datenmengen – auch „Big Data“ genannt – ist ein gutes Beispiel dafür. Neben der Klimaforschung ist die Bioinformatik führend auf diesem Gebiet und kann jetzt als Impulsgeber für andere Disziplinen fungieren. 

Wie bewerten Sie die Zukunftsaussichten der Bioinformatik?

In unserer Informationsgesellschaft ist Bioinformatik eine Ausbildung, die auch langfristig eine gute Perspektive bietet. Das gilt nicht nur für die akademische Welt, auch in der freien Wirtschaft gibt es zahlreiche und spannende Aufgabenfelder. Man ist nicht zu spezialisiert und kann erlernte Abläufe auch auf andere Wissensgebiete anwenden. Um die exponentiell ansteigenden Mengen an Daten zu bewältigen und nutzbar zu machen, brauchen wir gut ausgebildeten Nachwuchs – unabhängig vom Geschlecht.

Was muss sich ändern, damit mehr Frauen in der Bioinformatik arbeiten? 

Ein paar Vorurteile müssen wohl noch abgebaut werden. Ich denke, hier sind Vorbilder ganz wichtig. Junge Frauen sollen sehen, dass es durchaus Frauen in diesem Bereich gibt und diese auch sehr erfolgreich sein können. Ich denke, es ist wichtig, dass die Studienfächer durchlässig sind. Frauen die zunächst im Labor arbeiten, sollten die Möglichkeit haben, ihren Schwerpunkt auf die Bioinformatik zu verlegen, wenn sie merken, dass nicht nur die Arbeit im Labor spannende Fragestellungen und Antworten bereithält. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in der digitalen, bioinformatischen Welt sogar einfacher, da man sich die Zeit flexibler einteilen kann als im Labor.

Manche Universitäten bieten schon spezielle Frauenstudiengänge in Informatik an, um mehr Frauen zum Studium zu bewegen. Was halten Sie davon?

An sich bin ich ein Fan von einem gut ausgeglichenen Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Ein rein weibliches Umfeld entspricht einfach nicht der Realität. Warum sollte es dann im Studium so sein? Ich sehe allerdings auch, dass es wichtig ist, die Attraktivität der Bioinformatik für Frauen zu erhöhen und mögliche Hemmnisse zu senken. Die Interessen sind bei heranwachsenden Mädchen häufig anders gelagert als bei Jungen. Für den Einstieg wäre es daher sicherlich gut, wenn Angebote auf die jeweiligen Vorkenntnisse eingehen. Einstiegskurse für Frauen könnten also durchaus sinnvoll sein, allerdings sollten sie nicht zu einem Stigma werden. Und warum sollten nicht auch junge Männer ohne Vorwissen davon profitieren? Obwohl die Jugendlichen heute eine höhere Technikaffinität besitzen als noch vor 20 Jahren, verbringen nicht alle ihre Teenager-Jahre damit, kleine Roboter zu programmieren. Hier kann ein niederschwelliger Einstieg helfen, Interesse zu wecken. Vielleicht hätte ich es dann auch studiert? 

 

Weitere Informationen

PANGAEA – Data Publisher for Earth & Environmental Science – ist ein digitales Bibliothekssystem für Daten aus der Erdsystemforschung und den Umweltwissenschaften, das vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften MARUM an der Universität Bremen und dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung gemeinschaftlich betrieben wird. Das professionelle Datenmanagement ist als Service-Plattform ein Teil des deutschen Netzwerks für Bioinformatik (de.NBI), das das BMBF noch bis Ende 2021 mit 81 Millionen unterstützt.