Professor Bernhard Renard entwickelt innovative Software-Tools für die Biomedizin. In der Corona-Pandemie waren sie wertvolle Werkzeuge im Kampf gegen das Virus – und könnten auch künftig als Frühwarnsystem zum Einsatz kommen.

Von Melanie Bergs

Sein Lebenslauf liest sich wie das „Who is who“ der Corona-Pandemie. Mit einigen zentralen Akteuren der vergangenen Monate hat der Bioinformatiker Bernhard Renard bereits zusammengearbeitet. Nach Studium und Promotion folgten unter anderem Stationen beim BioNTech-Gründer Ugur Sahin und beim Robert Koch-Institut (RKI). Anfang 2020 übernahm er eine Professur am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, auch hier mit biomedizinischem Schwerpunkt. „Rückblickend wirkt mein Werdegang total logisch. Doch das war natürlich nicht so geplant“, sagt Renard und lacht. „Im Gegenteil, ich bin eigentlich ein spontaner Mensch und kann mich für viele Themen begeistern. Die Biomedizin ist zurzeit ein Bereich, in dem man noch viel bewegen kann.“

Bei seinem Weggang vom RKI hatte Renard mit seinem Chef Lothar Wieler noch gescherzt, dass er ihn im Falle einer Pandemie anrufen dürfe. Dann wurden sie kurze Zeit später von der Realität eingeholt. In Kooperation mit dem RKI hat der Bioinformatiker zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die interaktive Plattform CovRadar entwickelt, die Mutationen des Corona-Virus frühzeitig erkennen und ihre Häufung regional abbilden kann. Jede Woche wurden in das System Hunderttausende Genomsequenzen von Viren eingespeist. „Wir standen vor der Herausforderung, diese riesigen Datenmengen möglichst schnell zu verarbeiten, ein klassisches Big-Data-Problem“, erklärt Renard. Ziel ist es, bei der Ausbreitung neuer, gefährlicher Varianten des Corona-Virus schnell reagieren und gegensteuern zu können.

Frühwarnsystem für Pandemien

Doch bei der Pandemie-Bekämpfung denkt der Bioinformatiker noch einen Schritt weiter. Mit anderen Forschenden arbeitet er an Methoden der künstlichen Intelligenz, die vorhersagen sollen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Krankheitserreger auf den Menschen überspringt. In einigen Jahren könnte diese KI als Frühwarnsystem für potentiell gefährliche Viren zum Einsatz kommen. Trainiert werden die Computermodelle mit großen Sammlungen an Genomsequenzen von Viren und Wirtsorganismen. Noch sei die Fehlerquote zu hoch, so Renard. Aber beim Corona-Virus hat die Forschungsgruppe das Potential ihrer Entwicklung bereits unter Beweis gestellt. Im Januar 2020, noch bevor die Pandemie in vollem Gange war, testete sie das System mit der Genomsequenz des Virus. „Und tatsächlich haben wir eine Anpassungsfähigkeit an den Menschen festgestellt.“

Die nächste Pandemie wird nicht so lange auf sich warten lassen, davon ist Renard überzeugt. „Wir werden diesmal nicht so viel Zeit haben wie nach dem Ausbruch der Spanischen Grippe vor 100 Jahren. Aber ich denke, dass wir für das nächste Mal besser aufgestellt sind.“ Als Forscher an Pandemie-Fragen zu arbeiten, sei jedoch bisweilen ein seltsames Gefühl: „Im Grunde ist es gut, wenn ich nicht gebraucht werde.“

„Informatik ist ein kommunikatives Fach“

In einem weiteren Projekt beschäftigt sich Renard mit der Verbesserung der Analyse der Genomdaten von Krankheitserregern. Mit seinem Team hat er ein Software-Tool gebaut, das die Genomsequenz eines unbekannten Erregers auswertet, noch während parallel die Sequenzierung läuft. So kann bei der Diagnostik im klinischen Alltag wertvolle Zeit gespart werden. Eine Firmenausgründung für die Plattform ist bereits erfolgt. „Das sind für mich die Höhepunkte meiner Arbeit“, sagt Renard. „Wenn wir Entwicklungen vorantreiben können, die irgendwann auch bei den Patientinnen und Patienten ankommen.“

Bis dahin braucht er einen langen Atem. „Daher hadere ich auch manchmal ein wenig mit meinem Forscherdasein“, gesteht Renard: „Es gibt viele Berufe, wo man deutlich schnellere Erfolge sieht.“ Das sei sicher auch der Grund, warum die Lehre ihm so viel Spaß mache. „Da merkt man gleich, wenn der Funke überspringt.“  Dass er seine Studierenden begeistern kann, nimmt man Bernhard Renard sofort ab, wenn man ihn eine Weile im Gespräch erlebt. Ohnehin widerspricht er vehement dem Informatiker-Klischee. „Ich nutze jede Gelegenheit, über den Tellerrand zu schauen“, sagt er. Schon während des Studiums hat er sich für „Angewandte Kulturwissenschaften“ eingeschrieben. „Davon profitiere ich heute noch. Ich leite ein Team mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus fünf Kontinenten.“ Informatik sei inzwischen ein sehr kommunikatives Fach. „Wir müssen die reale Welt in ein Computersystem überführen und die Ergebnisse dann wieder in die reale Welt.“

Quelle: Portraitreihe „Gesichter der Gesundheitsforschung“ 2.12.2021