Interview mit Alexander Hoffmann

Das Bild zeigt eine schematische Darstellung des molekularen Netzwerks, welches das angeborene Immunsystem und die entzündliche Immunantwort einer Zelle gegenüber Pathogenen steuert. Das Forschungslabor von Alexander Hoffmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den farblich markierten drei prominenten Transkriptionsfaktoren AP1, NF B und IRF.

Schematische Darstellung des molekularen Netzwerks, welches das angeborene Immunsystem und die entzündliche Immunantwort einer Zelle gegenüber Pathogenen steuert. Das Forschungslabor von Alexander Hoffmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den farblich markierten drei prominenten Transkriptionsfaktoren AP1, NF B und IRF. (Grafik: A. Hoffmann)

„Scheinbar zufällige Entscheidungen von Zellen ergeben eine vorhersehbare Gesamtantwort“

systembiologie.de: Wie weit sind Sie?

Alexander Hoffmann: Gerade arbeiten wir an einem Modell, das es erlaubt, die B-Zell- und Antikörperantworten als Funktion des molekularen Netzwerkes in jeder B-Zelle vorauszusagen. Bei Exposition gegenüber Krankheitserregern fangen B-Zellen an, sich sehr schnell zu teilen bis sie an einem gewissen Punkt entscheiden, zu differenzieren, Antikörper auszuschütten und dann abzusterben. Diese Entscheidungen werden auf molekularer Ebene getroffen. Wir haben Modelle entwickelt, die diese molekularen Events beschreiben, und wenn wir diese Modelle zusammenführen, sind wir in der Lage vorauszusagen, wie sich die B-Zell-Population entwickelt. Das Ergebnis ist ein Modell für die Populationsdynamik als Funktion der molekularen Netzwerke in einzelnen Zellen. Das ist ein Beispiel für diese Art der Multiskalenmodellierung.

Mit diesem Modell können Sie Immunantworten vorhersagen?

Genau, diese Arbeit zeigt, dass die scheinbar zufälligen Entscheidungen von Zellen eine sehr vorhersehbare Gesamtantwort ergeben. Wenn man sich die B-Zellpopulation beispielsweise als lymphoides Organ vorstellt, ergibt sich auf Organebene eine vorhersehbare Immunantwort. Wir haben den Ursprung der Zellheterogenität identifiziert und sind unserem Ziel, Immunantworten voraussagen zu können, einen entscheidenden Schritt näher.

„Wir wollen Modelle haben, die aufgrund der Genetik eines Patienten vorhersagen, wie eine Virusinfektion verlaufen wird“

Sowie Ihrem Ziel, klinische Studien am Computer durchzuführen?

Im Moment können wir die Dynamik einer Zellpopulation nur in der Petrischale simulieren. In Zukunft soll uns dies auch für Zellen im Körper gelingen. Wir wollen Modelle haben, die es erlauben, aufgrund der Genetik eines Patienten vorherzusagen, wie eine Virusinfektion verlaufen wird und ob der Patient in der Lage ist, eine Erkrankung wie z. B. Ebola zu überleben. Auf Basis solcher Modelle könnten dann maßgeschneiderte Impfstoffe hergestellt werden, die wirksamer und sicherer sind. Wir erhoffen uns auch bessere Therapien für Patienten mit Autoimmunerkrankungen und eine bessere Diagnostik, die eine frühzeitige Erkennung und möglichst sogar eine Vorbeugung der Krankheit ermöglicht.

Ihre größte Herausforderung ist also ein Multiskalenmodell für den Patienten?

Das ist eine von vielen Herausforderungen, die mich begeistern. Ich bin erst kürzlich von San Diego weggezogen, wo ich die letzten zehn Jahre gelebt habe. Ein Grund an die UCLA zu wechseln war die phänomenale Vernetzung zwischen dem Krankenhaus, der medizinischen Fakultät und den Grundlagenwissenschaften. Die Institute arbeiten hier sehr eng zusammen. Ich hoffe also, dass ich mich mit meinen Forschungsinteressen gut einbringen kann und wir den nächsten Schritt schaffen: die klinische Anwendung unseres Wissens um die Grundlagen der Genkontrolle und Regulation des Immunsystems. Das bedeutet eine Menge großer mathematischer Modelle über viele miteinander wechselwirkende Zellen auf dem Weg zur größten Skala, dem Patienten.

Und an der UCLA finden Sie die optimalen Bedingungen für Ihr Vorhaben?

Ja, ich habe hier alle wichtigen Zutaten. Ein fantastisches Krankenhaus und eine ebenso fantastische medizinische Fakultät mit starken Grundlagenwissenschaften. Direkt nebenan befinden sich die Physik und die Ingenieurswissenschaften mit einer sehr guten Bioengineering-Abteilung und einer fantastischen Abteilung für Computerwissenschaften. Die Kollaborationen sind bereits da, aber es fehlt noch eine zentrale Plattform, um sie weiter zu fördern, ein gemeinsames Institut. Die Leitung der UCLA hat dies erkannt und beschlossen, eine neue Initiative sowie ein neues Institut zu gründen. Ich hatte das Glück, diesen Job zu bekommen und habe jetzt die Aufgabe, dieses Institut ins Leben zu berufen, das wir „Institute for Quantitative and Computational Biosciences“ nennen.

„Systembiologie ist keine Unterdisziplin der Biologie, sondern sie ist Biologie“

Welcher Typ Forscher interessiert sich Ihrer Meinung nach für Systembiologie?

Jeder! Ich glaube es wird zunehmend erkannt, dass es die moderne Biologie ist. Sicherlich gibt es mehrere Varianten, aber mehrheitlich ist man sich einig, dass die primäre Aufgabe, Moleküle zu identifizieren, abgeschlossen ist. Wir haben das menschliche Genom, wir können alle RNAs bestimmen und fast alle Proteine in Zellen sehr schnell identifizieren. Die Frage ist jetzt, wie sie zusammenarbeiten. Ich denke es herrscht Einvernehmen darüber, dass dies die anstehende große Herausforderung in der Biologie ist. In diesem Sinne sehe ich Systembiologie nicht als eine Unterdisziplin der Biologie, sondern sie ist Biologie, welche die Werkzeuge und Ansätze liefert, um aktuelle Fragestellungen anzugehen.

Wo findet man Ihrer Ansicht nach die besseren Forschungsbedingungen vor, in Deutschland oder in den USA?

Ich halte die Bedingungen in Deutschland bzw. in Europa für sehr gut. Dennoch würde ich sagen, dass die befristeten Verträge, die jungen Postdocs in Europa angeboten werden, weniger attraktiv sind als vergleichbare Verträge in den USA, die bei erfolgreicher Arbeit viel höhere Chancen auf eine längerfristige Beschäftigung bieten. Sicherlich gibt es exzellente Programme, um Nachwuchswissenschaftler nach Deutschland zu holen, aber die Befristung ist ein Problem. Für Senior-Wissenschaftler jedoch sind die Forschungsbedingungen vergleichbar gut, in Deutschland und in den USA. Der Wettbewerb in den USA ist enorm, aber genauso in Deutschland, und das bedeutet letztendlich, dass es sich um einen attraktiven Job handelt.

Herr Hoffmann, Sie sind Deutscher und schon seit Ihrer Promotion in den USA. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, nach Deutschland zurückzukehren?

Ja, in der Tat! In verschiedenen Ländern oder an unterschiedlichen Orten zu leben ist aufregend, aber auch Herausforderung und Balanceakt zugleich. Vor zwei Jahren verbrachte ich mit meiner Familie ein Sabbat(drittel)jahr in Berlin. Eine großartige Erfahrung! Aber nach dem Sabbatjahr entschieden wir, dass wir aus persönlichen Gründen zumindest die nächste Phase unseres Lebens in Kalifornien verbringen wollen, wo wir gesellschaftlich integriert sind. Mal sehen, was dann passiert…

Das Gespräch führte Miriam Colindres.

Seite 1: Dem Code des Lebens auf der Spur

Kontakt

Prof. Dr. Alexander Hoffmann
University of California  
Los Angeles
ahoffmann@ucla.edu