Dem Code der Zellen auf der Spur

Der Systembiologe Alex Hoffmann in seinem Büro

Alexander Hoffmann in seinem Büro im neugegründeten „Institute for Quantitative and Computational Biosciences“ der Universität Kalifornien in Los Angeles. (Quelle: Reed Hutchinson)

Interview mit Alexander Hoffmann

Der Systembiologe Alexander Hoffmann erforscht an der Universität in Los Angeles (UCLA) wie Immunantworten reguliert werden. Sein Team entwickelt Multiskalenmodelle, welche den dynamischen Prozess der Pathogenerkennung und konzertierten Immunantwort skalenübergreifend vom Gewebe bis hin zu miteinander wechselwirkenden Proteinen in der Einzelzelle beschreiben, und ist damit einem Zellcode auf der Spur. Nach seinem Physik-Grundstudium wechselte Hoffmann in die Biologie, die ihn mit ihren detaillierten Erkenntnissen über molekulare Vorgänge in Organismen faszinierte. Damals ahnte er noch nicht, dass seine Physikkenntnisse zu einem wichtigen Werkzeug für ihn werden würden. Die Systembiologie nimmt für ihn den Stellenwert der neuen modernen Biologie ein.

Systembiologie.de: Herr Hoffmann, wie ist aus Ihnen ein Systembiologe geworden?

Prof. Dr. Alexander Hoffmann: Während meiner Postdoktoranden-Zeit am Caltech (California Institute of Technology) arbeitete ich an der biochemischen Charakterisierung eines Transkriptionsfaktors und wollte auch dessen physiologische Funktion verstehen. Wie jeder nahm ich an, dass es mir mithilfe einer Knockout-Maus gelingen müsste, den Phänotyp auf Basis des biochemischen Wissens zu verstehen: Wo der Transkriptionsfaktor bindet, welche Gene er reguliert etc... Doch schnell zeigte sich eine große Diskrepanz zwischen biochemischem Wissen und der tatsächlichen Biologie. Die Phänotypen entsprachen in keinster Weise den Erwartungen, was rückblickend natürlich der Norm entspricht. Heute weiß man, dass die Beziehung zwischen Phänotyp und Genotyp sehr komplex  ist und es sich um ein dynamisches System handelt. Damals stellte ich fest, dass um ein solches dynamisches System zu verstehen, die Skalen, die mir aus der Physik bekannt waren, relevant wurden. Ich hatte die Zeit mit meinem Physikstudium nicht vergeudet, im Gegenteil, mein Wissen erwies sich auf einmal als nützlich. Dies ließ meinen Enthusiasmus neu aufleben. Die Bezeichnung Systembiologie benutzten wir jedoch noch nicht, denn zu dieser Zeit wurde die Systembiologie in den USA zumeist mit genomweiten Studien verknüpft und noch nicht so sehr mit emergenten Eigenschaften von biologischen Systemen.

„Ich setze mich dafür ein, alle Aspekte der Systembiologie zu vernetzen.“

Sie sind sehr bemüht, die Systembiologie zu stärken und voranzutreiben, was haben Sie bereits erreicht und was muss noch getan werden?

Ich habe versucht, zu zeigen, dass die Systembiologie, die biologische Systeme mit mathematischen Modellen zu verstehen versucht, wichtige physiologisch und klinisch relevante Erkenntnisse liefert. Mathematische Modelle sind seit langem etabliert, um biologische Fragestellungen zu untersuchen, und die meisten dieser Modelle sind sehr einfach und abstrakt, aber dennoch sehr aufschlussreich. In der Regel blieb diese Disziplin jedoch den Physikern vorbehalten und war zumindest in den USA lange Zeit stark im Hintergrund. Mein Ziel der letzten Jahre war es, zum einen den Biologen zu zeigen, dass mathematische Modelle nützlich sind und zum anderen die Systembiologie mit Hochdurchsatz-Technologien zu vernetzen. Quantitative Messungen und die Methoden der Bioinformatik bilden die Grundlage für die Erstellung guter mathematischer Modelle. Die gewonnenen Daten werden dann zur Parametrisierung der Modelle genutzt. Ich setze mich dafür ein, alle Aspekte der Systembiologie zu vernetzen, von der Genomik bis hin zur Physik.

Was verraten Ihre mathematischen Modelle über das Immunsystem?

Wir haben herausgefunden, dass die Immunantwort und die damit verbundenen regulatorischen Prozesse sehr dynamisch sind und dass die Dynamik der Signalverarbeitung und Transkription eine Art Code darstellt, der das Verhalten der Zelle bestimmt. Ähnlich wie bei einem Morsecode können viele Nachrichten übertragen werden. Dies funktioniert über eine Folge verschiedener Events oder Aktivitäten, sprich Dynamik. Die Zelle verwendet eine ähnliche Strategie, um viele verschiedene Signale zu den unterschiedlichen Kompartimenten der Zelle zu transmittieren. Es existiert also eine Art zelluläre Sprache, bei der es sich nicht um einen genetischen Code handelt, sondern um einen Kommunikationscode. Wir versuchen zu verstehen wie diese Sprache funktioniert, welches die Wörter sind und was sie bedeuten. Das hält uns aktuell auf Trab.

Was ist dabei besonders herausfordernd?

In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass Zellen zwar diese sehr genaue Kontrolle nutzen, aber dass sie sich andererseits, selbst wenn sie genetisch identisch sind, unterschiedlich verhalten und die Reaktion einer Zelle gegenüber einem Krankheitserreger scheinbar wenig verlässlich ist. Hier gibt es noch viele offene Fragen. Denn selbstverständlich funktionieren Zellen in unserem Körper nicht nach eigenem Vermessen, sondern koordiniert. Um diese Heterogenität der Zellantworten zu verstehen, brauchen wir Modelle, welche die biochemischen Reaktionen in jeder Zelle beschreiben. Wir wollen aber nicht nur die Einzelzelle, sondern alle zusammen arbeitenden Zellen verstehen. Eine geradlinige Herangehensweise wäre ein mathematisches Modell für jede einzelne Zelle, wobei diese z. B. tausend Modelle parallel zur selben Zeit laufen müssten. Dabei handelt es sich um eine agentenbasierte Modellierung, bei der jede einzelne Zelle als ein Agent, sprich eine Einheit, behandelt wird. Dies ist aber computertechnisch viel zu aufwendig. Wir brauchen andere Modelle, die uns eine skalenübergreifende Simulation ermöglichen, vom Gewebe mit Millionen von Zellen bis herunter zu den molekularen Details der Proteinwechselwirkungen ohne einen Supercomputer zu benötigen und tagelang auf das Ergebnis warten zu müssen.

Wie lösen Sie das Problem?

Wir müssen einen eleganten Weg finden, das Modell auf größeren Skalen zu abstrahieren ohne dabei die relevanten molekularen Details zu verlieren. Nur so können wir unser Ziel erreichen, klinische Studien zu simulieren. Wir wollen Medikamente am Computer testen, bevor sie erstmalig am Menschen getestet werden. Selbstverständlich benötigen wir dazu ein gewisses Level an Details in den Modellen, d. h. genaue Kenntnisse über die molekularen Wechselwirkungen des Medikaments und dessen Metabolisierung und das für alle Zellen des Körpers und für eine möglichst große Zahl an Patienten. Sicherlich eine gewaltige Herausforderung, aber eine, der wir uns stellen wollen und müssen.

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Kontakt

Prof. Dr. Alexander Hoffmann
University of California  
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