DIE BIOLOGIN
„Viele Biologie-Studenten haben Angst vor Mathematik“
systembiologie.de: Wie haben Sie zur Systembiologie gefunden?
Prof. Dr. Anke Becker: Das Zusammenspiel der einzelnen Prozesse in Zellen als Ganzes zu betrachten, hat mich schon in der Genomforschung gereizt. Anschließend in die Systembiologie zu gehen, war dann der natürliche Weg für mich. Wenn man sich beispielsweise die Transkription des Genoms anschaut, dann stellt man fest, dass das keinesfalls so geordnet abläuft wie an-genommen. Es ist vielmehr eine stochastische Betrachtung des Gesamtsystems notwendig, um die Prozesse zu verstehen. Dafür brauchen wir Biologen aber Theoretiker, die solche Betrachtungen basierend auf unseren Daten machen können.
Sie sprechen die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Systembiologie an. Wie haben Sie als Biologin diese empfunden?
Ich habe vorher schon mit Bioinformatikern zusammengearbeitet. Wir mussten uns einander annähern und lernen, die Sprache des anderen zu verstehen. Nach Jahren waren wir dann soweit, dass wir gemeinsam Ideen entwickeln konnten, die eine Disziplin alleine nicht hervorgebracht hätte. Diese Erfahrungen mit der Bioinformatik konnte ich allerdings nicht auf die System-biologie übertragen. Der Annährungsprozess dauerte vielmehr erneut so lange wie zuvor, nur diesmal mit Mathematikern und Physikern. Nach drei Jahren in der FORSYS-Förderung hat sich langsam gezeigt, dass wir gemeinsam etwas erreichen können. Heute habe ich mit denselben Mathematikern aus Freiburg ein erfolgreiches DFG-Projekt.
Welche Rolle hat die FORSYS-Förderung generell für Ihre Forscher-Karriere gespielt?
Eine ganz große Rolle. Ich bin während der Förderung von der Genomforschung in Bielefeld zur Systembiologie in Freiburg gewechselt. Dort konnte ich mein interdisziplinäres Umfeld vergrößern und wichtige Fortschritte in der Zusammenarbeit mit Modellierern machen. Ich glaube nicht, dass ich den Ruf an das LOEWE Zentrum für Synthetische Mikrobiologie ohne diesen Hintergrund bekommen hätte. Die Kombination einer mikrobiologischen Grundausbildung einerseits mit Expertise in Bioinformatik und der Zusammen-arbeit mit Modellierern andererseits, war entscheidend für meine Karriere. Ich kann mir synthetische Biologie ohne Systembiologie nicht vorstellen. Ich muss ein System, dass ich abändern oder in einen anderen Organismus integrieren möchte, verstehen. Und das kann ich nur, wenn ich mit Modellierern zusammenarbeite.
Es gibt inzwischen sogar spezielle Systembiologie-Studiengänge. Für Sie der ideale Weg in dieses Forschungsfeld?
Das Problem ist die hohe Interdisziplinarität der Systembiologie. Viele Biologen haben Angst vor Mathematik. Ein Biologie-Student im Bachelor-Studium hat zumeist mit seinem Fach an-gefangen, weil er möglichst wenig Mathematik machen wollte. Wer als Biologe in die Systembiologie gehen will, braucht jedoch zumindest ein wenig Affinität dafür. Interdisziplinäre Studiengänge sollten nicht den Fehler machen, Studenten gleichzeitig zu Experten in den experimentellen Lebenswissenschaften und der Modellierung ausbilden zu wollen. In den meisten Fällen bringt dies Studenten hervor, die beides nicht richtig können. Ein interdisziplinärer Studiengang sollte vielmehr die individuellen Stärken fördern und durch die Vermittlung von Grund-lagen in beiden Bereichen die Fähigkeit zur interdisziplinären Kommunikation fördern.
Wo sehen Sie die Systembiologie in zehn Jahren?
Ich hoffe, die Systembiologie ist dann ein fester Bestandteil in der Erforschung biologischer Systeme auf der Zellebene. Das geht nur, wenn wir Biologen in der Lage sind, hierfür geeignete Daten zu liefern. Das ist immer noch ein großes Problem. Häufig fehlen uns die Techniken oder es ist viel zu aufwendig, die Daten in einem vernünftigen Zeitrahmen zu erzeugen. Deshalb kann man Projekte oftmals erst beginnen, wenn bereits viele experimentelle Daten vorliegen. Das kann mitunter mehrere Jahre dauern.