Warum die Grippe-Impfung bei alten Menschen oft nicht wirkt

Forscher im Labor

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaflter des Projekts Primage werten große Datenmengen aus, um die biologischen Vorgänge zu verstehen, die das Immunsystem altern lassen. (Quelle: Peer Schröder, BCRT Berlin)

Berliner Forschungsteam deckt Mechanismen hinter der Alterung des Immunsystems auf

Von Melanie Bergs und Gesa Terstiege

Mit der kalten Jahreszeit beginnt die Hochsaison der Grippe-Infektionen. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt vor allem älteren Menschen, sich gegen Influenza-Viren impfen zu lassen. Denn sie haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung. Doch gerade bei den Über-60-Jährigen ist die Schutzwirkung der Grippe-Impfung häufig schlechter. Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen herausfinden, warum der Impfschutz im Alter nachlässt. Dabei wurden sie im Rahmen des Fördermaßnahme „GerontoSys“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt.

Schüttelfrost, hohes Fieber, Gliederschmerzen – das können Symptome für eine Grippe sein. Zumeist ist die Infektion mit den so genannten Influenza-Viren nach einigen Tagen überstanden. Doch im Gegensatz zur normalen Erkältung ist die Grippe eine ernstzunehmende Erkrankung, die auch einen schweren Verlauf nehmen und sogar tödlich enden kann. Besonders gefährdet sind unter anderem chronisch Kranke, Schwangere und ältere Menschen. Das Robert-Koch-Institut rät diesen Risikogruppen daher dringend zur Impfung. „Doch bei mindestens einem Drittel der Über-60-Jährigen wirkt die Grippeimpfung nicht oder nicht ausreichend gut“, erklärt Professor Dr. Andreas Thiel vom Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien in Berlin. Für andere Impfungen konnten ähnliche Effekte beobachtet werden.

Im Laufe des Alterungsprozesses verändert sich auch das Immunsystem, es arbeitet weniger effektiv. Ein Berliner Forschungsteam unter Leitung von Andreas Thiel hat untersucht, welche Mechanismen hinter der Alterung des Immunsystems stecken und wie dadurch die Immunantwort beim Eindringen von Krankheitserregern geschwächt wird. „Wir wollen mit unserer Forschung dazu beitragen, Therapien und Impfungen für ältere Menschen zu verbessern“, sagt Thiel. „Unser langfristiges Ziel ist es, ein älteres, defektes Immunsystem wieder so fit zu machen, dass es wie ein junges Immunsystem funktioniert.“

Zahl der Abwehrzellen nimmt im Alter ab

Über ein Jahr lang haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Blutproben von 50 jüngeren und älteren Menschen vor und dann regelmäßig nach der Grippe-Impfung entnommen und miteinander verglichen. Dabei sind große Datenmengen entstanden, die das Forschungsteam mit modernen molekularbiologischen Methoden analysiert hat. „Wir haben inzwischen mehrere Faktoren identifiziert, die mit der Schwächung des Immunsystems im Alter zusammenhängen“, sagt Thiel.

Eine entscheidende Rolle spielen die so genannten T-Zellen, die bei der Immunantwort verschiedene Aufgaben übernehmen. Diese Abwehrzellen werden im Thymus hergestellt, einem Organ oberhalb des Herzens. Der Thymus bildet sich nach der Pubertät kontinuierlich zurück“, erklärt Thiel. „Im gleichen Maße nimmt die Menge der im Thymus gebildeten frischen T-Zellen im Laufe des Alterns natürlicherweise ab.“ Wenn kaum neue T-Zellen hinzukommen, ist der Körper gegen neue Krankheitserreger schlechter gewappnet. Diese Theorie konnte auch in weiteren Studien mit anderen Impfstoffen bestätigt werden.

Individualisierte Therapie ermöglichen

Die Forschungsergebnisse von Thiels Team können auch für die Therapie-Wahl etwa bei der Behandlung von Krebs relevant sein. Moderne Therapieformen setzen hier vielfach auf die Aktivierung des Immunsystems. „Bei älteren Menschen könnte eine solche Behandlung jedoch nicht anschlagen, da ihr Immunsystem zu alt und damit geschwächt ist“, sagt Thiel. Hier könnten die Vorhersagen der Forscherinnen und Forscher ungeeigneten Patientengruppen ein Therapieversagen und damit unnötige Risiken und Nebenwirkungen ersparen. „In der Regel steht eine Vielzahl von Therapie-Möglichkeiten zur Verfügung. Und gerade bei Schwerkranken ist es wichtig, keine Zeit zu verlieren“, so Thiel.

Neben der richtigen Therapiewahl könnten diese Immunsystem-Analysen künftig sogar dabei helfen, dass neue Wirkstoffe schneller beim Patienten ankommen. Ein neues Medikament wird in klinischen Studien zunächst an einer repräsentativen Anzahl von Erkrankten getestet. „Wenn hier Patientinnen und Patienten ausgewählt werden, die aufgrund ihres schwachen Immunsystems gar nicht erst auf die Behandlung reagieren können, kann das die Studienergebnisse stark beeinträchtigen“, sagt Thiel. „Ein möglicherweise wirksames Medikament bekommt keine Zulassung und wird somit der passenden Patientengruppe vorenthalten.“

Dieser Beitrag ist im Newsletter des Bundesforschungsministeriums "Aktuelle Ergebnisse der Gesundheitsforschung" erschienen (Ausgabe 76/2015).

Kontakt

Prof. Dr. Andreas Thiel
Charité – Universitätsmedizin Berlin
andreas.thiel@charite.de

www.primage.de