Dresdner Forscherteam entwickelt Strategie, um den Tumor gleich an mehreren Schaltstellen anzugreifen
Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 20.000 Menschen an schwarzem Hautkrebs. Wird er zu spät erkannt, ist die Behandlung schwierig. Systemmediziner wollen das ändern – mit einer Kombinationstherapie, maßgeschneidert für jeden einzelnen Patienten. Dabei werden sie im Rahmen der Fördermaßnahme „e:Med“ vom Bundesforschungsministerium unterstützt.
Von Melanie Bergs und Gesa Terstiege
Wenn ein Muttermal plötzlich dunkler wird, seine Form verändert oder wächst, können das erste Warnsignale sein. Schwarzer Hautkrebs bildet sich jedoch auch an versteckten Stellen des Körpers, etwa im Auge, unter den Nägeln oder auf der Kopfhaut, wo man ihn leicht übersehen kann. Das maligne Melanom – so der Fachbegriff – zählt zu den gefährlichsten Krebsarten, da es schon früh Metastasen im gesamten Körper bilden kann. Je eher die Diagnose gestellt wird, desto besser sind die Heilungschancen. „Hat die Krankheit schon das metastasierende Stadium erreicht, ist sie mit herkömmlichen Behandlungsmethoden wie Chemo- oder Radiotherapie kaum noch zu bekämpfen“, erklärt Dagmar Kulms. Die Biologin vom Universitätsklinikum Dresden entwickelt daher gemeinsam mit ihrem Forschungsteam eine Strategie, um neuartige, individuell auf die Patienten zugeschnittene Kombinationstherapien zu identifizieren, die den Tumor gleich an mehreren Schaltstellen angreifen.
Hat der Dermatologe den Tumor rechtzeitig entdeckt und vollständig entfernt, liegt die Überlebensrate bei nahezu 100 Prozent. Problematisch wird es jedoch, wenn das Melanom bereits in die Dermis, also die tiefer liegende Schicht der Haut, vorgedrungen ist und damit eine Verbindung zu Lymph- und Blutgefäßen hergestellt hat. Über die Lymphe können bösartige Melanomzellen dann in die benachbarten Lymphknoten und über das Blut sogar in entfernte Organe wie Leber oder Hirn wandern. Wenn der Hautkrebs dieses Stadium erreicht hat, sinken die Überlebenschancen der Betroffenen rapide, und die Mediziner stehen vor großen Herausforderungen.
Ganzes Signalnetzwerk für Tumorwachstum verantwortlich
„Ähnlich wie Viren verändern sich auch Metastasen kontinuierlich und werden dadurch schwer angreifbar“, sagt Kulms. „Die Mutationen führen außerdem dazu, dass sich Resistenzen gegen die eingesetzten Therapeutika entwickeln.“ Auch moderne Immuntherapien schlagen oftmals zu spät an. Inzwischen setzen Onkologen daher im fortgeschrittenen Stadium des Hautkrebses verstärkt auf Wirksubstanzen, die sich gezielt gegen Mutationen, also genetische Veränderungen im Tumor, richten. Diese so genannten Inhibitoren zielen darauf ab, das ungehinderte Wachstum der Krebszellen zu stoppen, indem man die entscheidenden Signalwege in der Zelle unterbricht. „Diese Therapien schlagen in den meisten Fällen zunächst gut an. Allerdings kehren die Tumore häufig zurück, sobald die Medikamente abgesetzt werden, etwa wenn starke Nebenwirkungen auftreten oder sich Resistenzen bilden“, sagt Kulms.
Bislang werden für diese Therapien durch eine Genanalyse spezielle Eigenschaften des Tumors identifiziert, die maßgeblich für sein Wachstum verantwortlich sind. Kulms und ihr Team sind jedoch überzeugt, dass diese Analyse noch deutlich zu kurz greift. „Es sind nicht nur einzelne Faktoren, die für das Tumorwachstum verantwortlich sind, sondern ein ganzes Signalnetzwerk, das ineinander greift“, so Kulms. Dabei kann man sich das Netzwerk der Tumorzelle ähnlich vorstellen wie das Streckennetz der Bahn. Beim Ausfall eines Knotenpunkts kann der Zugverkehr bei einem weitverzweigten Schienennetz einfach umgeleitet werden. Ziel der Forscherinnen und Forscher ist es daher, dieses Netzwerk an möglichst vielen Stellen anzugreifen und es im Idealfall komplett zu blockieren – und damit das Wachstum des Tumors zu stoppen.
Bester Wirkstoffmix für jeden einzelnen Patienten
Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein spezielles Computermodell entwickelt, das die molekularen Prozesse in Tumoren simulieren kann und zeigt, wie diese auf unterschiedliche Wirkstoffe reagieren. Hierfür haben sie die Signalnetzwerke diverser Melanom-Zelllinien analysiert. „Unsere Software soll zukünftig auf Basis der verfügbaren Wirkstoffe den bestmöglichen Mix für jeden einzelnen Erkrankten vorhersagen und damit das Therapie-Ergebnis maßgeblich verbessern“, sagt Kulms. So könnten dem Betroffenen auch unnötige Nebenwirkungen durch unwirksame Medikamente erspart werden. In diese Simulationen beziehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch einen eigens entwickelten Wirkstoff mit ein, der den Zelltod in den Tumoren begünstigen soll.
Das interdisziplinäre Forschungsteam wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Systemmedizin-Maßnahme „e:Med“ unterstützt. Derzeit überprüfen die Forscherinnen und Forscher ihre Therapie-Empfehlungen mithilfe von 3D-Tumormodellen, die aus Zellkulturen von Patientenproben bestehen. Die ersten Ergebnisse deuten laut Kulms darauf hin, dass ihre Vorhersagen treffsicher sind. Wenn alles nach Plan läuft, könnten die Computermodelle in einigen Jahren in jeder Klinik zum Einsatz kommen.