Ein neuartiger Leberfunktionstest bestimmt, wie viel Lebergewebe bei einer Operation gefahrlos entfernt werden kann. Ein Forschungsteam aus Berlin will die Interpretation der Testergebnisse noch präziser machen und die Anwendung ausdehnen.

von Gesa Terstiege

Bei schweren Erkrankungen der Leber machen sich Ärztinnen und Ärzte eine bemerkenswerte Eigenschaft des Organs zunutze: Es kann nachwachsen. Bei einem gesunden Menschen können bis zu 80 Prozent der Leber entfernt werden. Innerhalb weniger Wochen regeneriert sich die Leber und erreicht wieder nahezu ihre ursprüngliche Größe und Leistung. Bei einer kranken Leber ist die Funktion jedoch eingeschränkt und eine Teilentfernung der Leber etwa bei bösartigen Lebertumoren mit erheblichen Risiken verbunden. Insbesondere müssen die Chirurginnen und Chirurgen vor dem Eingriff abschätzen, ob der verbleibende Leberteil nach der Operation den Körper noch ausreichend versorgen kann. Ein einzigartiger Leberfunktionstest, der an der Charité in Berlin entwickelt wurde, ermöglicht eine quantitative Aussage über die aktuelle Leberfunktion und damit eine Vorhersage über den Zustand und damit das Überleben der Betroffenen nach der Operation. Für die medizinische Interpretation des Tests müssen allerdings alle Faktoren berücksichtigt werden, die die Testergebnisse beeinflussen können. Das Forschungsteam um den Mitentwickler Professor Dr. Martin Stockmann analysiert zu diesem Zweck, welche Effekte äußere Faktoren wie Rauchen haben können. Dabei unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen von „LiSyM − Forschungsnetz Systemmedizin der Leber“ die Funktionsanalyse mit rund 2,6 Millionen Euro.

Seltenes Isotop ermöglicht Test

Für den Leberfunktionstest LiMAx (Maximum Liver Function Capacity) bekommen die Patientinnen und Patienten eine spezielle Markersubstanz verabreicht, die von der Leber zu Kohlendioxid und Paracetamol verstoffwechselt wird. Das Paracetamol tritt dabei in so geringen Dosen auf, dass es keine Schmerzmittel- und Nebenwirkungen hat. Die Forscherinnen und Forscher verwenden für den Test die Markersubstanz 13C-Methacetin, die statt dem gewöhnlichen Kohlenstoff ein Kohlenstoffisotop mit einem zusätzlichen Neutron enthält. Dieses natürlich vorkommende, nicht radioaktive Isotop macht normalerweise nur ein Prozent des Kohlenstoffes aus. In der Markersubstanz ist es an einer Stelle des Moleküls jedoch auf nahezu 100 Prozent angereichert. Während des Tests bestimmt ein spezielles Messgerät über eine Atemmaske das Verhältnis der beiden Kohlenstoffisotope in der ausgeatmeten Luft und zeigt an, wie schnell die Leber die Testsubstanz umsetzen kann. Bei Gesunden geschieht dies in nur wenigen Minuten, bei Leberkranken kann es eine halbe Stunde bis Stunde dauern.

„Wir haben mittlerweile so viele Studiendaten zu Leberteilentfernungen gesammelt, dass wir mit den Testergebnissen gut abschätzen können, welche Menge an Lebergewebe wir gefahrlos entfernen können“, erklärt der Leberchirurg Stockmann. Bevor es den Leberfunktionstest gab, mussten sich die Medizinerinnen und Mediziner im Wesentlichen auf ihre klinische Erfahrung sowie Blutwerte verlassen. Blutwerte zeigen eine eingeschränkte Funktionstüchtigkeit der Leber allerdings häufig erst nach Stunden oder sogar Tagen an. „Jetzt haben wir in jeder klinischen Situation auf den Punkt den richtigen Messwert und die aktuelle Leberleistung“, ergänzt Stockmann. Wenn die Leberleistung zu schwach ist, kann eine Vorbehandlung eine Operation dennoch ermöglichen.

Die Leber ist an sehr vielen Prozessen im Körper beteiligt und reagiert empfindlich auf äußere Einflüsse wie Medikamente oder Rauchen. Für eine präzise medizinische Interpretation der Testergebnisse ist es daher entscheidend zu wissen, welche Faktoren auf die Ergebnisse einwirken können. „Beim Rauchen waren wir überrascht, dass ein kurzfristiges Rauchverbot schon die Lösung ist. Wenn die Testperson 24 Stunden vor dem Test nicht raucht, erhalten wir immer verlässliche Ergebnisse“, erklärt Stockmann.

Frühzeitige Diagnose chronischer Lebererkrankungen

Der Test ist seit zwei Jahren als Arzneimittel und Medizinprodukt in Europa zugelassen. Zum Einsatz kommt er bislang allerdings nur in Kliniken, die auf Leberchirurgie und Lebertransplantationen spezialisiert sind. Perspektivisch ist ein deutlich breiterer Einsatz des Tests insbesondere zur Früherkennung und Beobachtung von chronischen Lebererkrankungen geplant. Da Betroffene bei einer Verschlechterung ihrer Leberfunktion lange keine Beschwerden haben, erfolgt die Diagnose häufig zu spät. Dabei kann sich die Leber gut erholen, wenn die zugrunde liegende Erkrankung – etwa eine Virusinfektion, Fettleber oder eine Alkoholsucht – rechtzeitig erkannt und behandelt wird.

Mithilfe des LiMAx-Tests können die Medizinerinnen und Mediziner bereits eine reduzierte Leberfunktion detektieren, wenn sie sich noch nicht über Blutwerte oder gar mit Symptomen bemerkbar macht. Bei chronischen Lebererkrankungen wie Fettleber oder Alkoholismus könnte laut Stockmann darüber hinaus ein sozialmedizinischer Effekt wichtig werden: „Eine quantitative Aussage wie: ‚Ihre Leber ist bereits bei nur noch der halben Funktion‘, hätte mit Sicherheit eine größere Konsequenz als allgemeine Ratschläge für eine gesunde Lebensführung“, erläutert Stockmann. „Quantitative Messungen haben einfach eine größere Wirkung.“ Der Chirurg hofft, dass der Leberfunktionstest in einigen Jahren wie ein EKG-Gerät zur Bestimmung der Herzfunktion in jeder Hausarztpraxis steht und ein flächendeckendes Screening zur Früherkennung von chronischen Lebererkrankungen möglich macht.

 

Quelle: Newsletter „Aktuelle Ergebnisse der Gesundheitsforschung" Nr. 100