Chronotherapie – Krebsbehandlung zur richtigen Zeit

Frau mit Uhren, die verschiedene Uhrzeiten anzeigen.

Unsere innere Uhr bestimmt nicht nur den Schlaf- und Wachrhythmus, sondern kann auch Auswirkungen auf die Therapie von Krankheiten haben. (Quelle: ismagilov/iStock/thinkstock)

Berliner Forschungsteam untersucht die molekularen Mechanismen der inneren Uhr

Essen, schlafen, wachen – die innere Uhr gibt unserem Körper den Takt vor. Forscher der Charité wollen herausfinden, wie der Biorhythmus auch die Wirkung von Medikamenten beeinflusst. Ihre Erkenntnisse könnten die Krebstherapie verbessern. Dabei werden sie im Rahmen der Fördermaßnahme „e:Bio“ vom Bundesforschungsministerium unterstützt.

Von Gesa Terstiege und Melanie Bergs

In jeder unserer Zellen tickt eine eigene innere Uhr, die einem Rhythmus von etwa 24 Stunden folgt. Sie steuert Prozesse wie den Stoffwechsel und die Zellteilung. Der zentrale Taktgeber für all diese Uhren in unserem Körper sitzt im Gehirn, direkt über der Stelle, wo sich die beiden Sehnerven kreuzen. So wird die „Gehirn-Uhr“ durch den Wechsel von Licht und Dunkelheit beeinflusst und folgt damit dem gewohnten Tag-Nacht-Rhythmus.

Dieser Rhythmus wird dem Menschen am ehesten bewusst, wenn die innere Uhr etwa bei einem Jetlag aus dem Takt gerät. So wird man nach einem Flug von Berlin nach New York von Schlaflosigkeit oder völliger Übermüdung geplagt. „Das bedeutet nichts anderes, als dass die Gehirn-Uhr bereits in New York angekommen ist, wohingegen sich die Leber-Uhr noch auf den Azoren und die Haut-Uhr in Berlin befindet. Es dauert eine Weile, bis diese verschiedenen Uhren das Signal der Gehirn-Uhr empfangen haben und alle wieder synchronisiert sind“, erklärt Krebsforscherin Angela Relógio, die an der Charité Berlin die molekularen Mechanismen der inneren Uhr untersucht und dabei vom Bundesforschungsministerium im Rahmen der Systembiologie-Förderung unterstützt wird.

Gestörter Biorhythmus macht krank

Wenn der Ablauf der inneren Uhr ab und zu gestört wird, ist das für den Körper kein Problem. „Sobald Menschen jedoch permanent gegen den normalen Biorhythmus arbeiten müssen, kann dies auf lange Sicht krank machen“, sagt Relógio. So werden Krankheiten wie Diabetes, Depressionen und Krebs mit jahrzehntelanger Schichtarbeit in Verbindung gebracht. Mittlerweile konnten Wissenschaftler belegen, dass eine aus dem Takt geratene innere Uhr den Stoffwechsel und die Zellteilung stört, was zur Entstehung von Krebszellen führen kann.

Relógio und ihr Team vergleichen die molekularen Mechanismen der inneren Uhr von gesunden mit denen von kranken Zellen. Sie wollen insbesondere herausfinden, wie die jeweiligen Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten auf äußere Einflüsse wie Medikamente reagieren. Diese Erkenntnisse sind von zentraler Bedeutung etwa für die Chemotherapie von Krebspatienten. „Die Therapie ist dann am effektivsten, wenn die Tumorzellen sich gerade teilen und damit am besten bekämpft werden können“, sagt Relógio. Zugleich gibt es Zeitfenster, in denen die Arzneien für die gesunden Zellen weniger giftig sind und somit weniger Nebenwirkungen verursachen.

Nebenwirkungen deutlich reduziert

Um den optimalen Zeitplan für die Medikamentengabe zu ermitteln, speisen die Wissenschaftler die Daten der inneren Uhr von Zellen einzelner Patienten in ein selbst entwickeltes Computermodell ein. Dieses Modell kann voraussagen, zu welchen Zeiten die Therapie dem Patienten am meisten nützt und am wenigsten schadet. „Ideal wäre es, wenn dem Erkrankten das Medikament mit einer Art Pumpe verabreicht würde. Diese könnte angepasst an seinen Biorhythmus mal mehr und mal weniger Wirkstoff freisetzen“, beschreibt Relógio. Erste Studien mit Krebspatienten legen bereits nahe, dass mit Hilfe dieser so genannten Chronotherapie die Nebenwirkungen deutlich reduziert werden können.

Noch ist die Chronotherapie in Mediziner-Kreisen nicht weit verbreitet. Zu Beginn ihrer Arbeit vor einigen Jahren hat Relógio dafür kämpfen müssen, mit Ärzten zusammenarbeiten zu können. „Inzwischen kooperieren die Mediziner gerne mit uns“, sagt sie. Relógio hofft, dass auch der Medizin-Nobelpreis für die Erforschung der inneren Uhr zur Anerkennung der Chronotherapie beitragen wird. Die Frau, deren Namen auf Portugiesisch „Uhr“ heißt, ist sich sicher: „Jetzt werden auch Patienten ihre Ärzte fragen, was es mit der inneren Uhr auf sich hat.“

Kontakt

PD Dr. Angela Relógio
Molekulares Krebsforschungszentrum
Charité – Universitätsmedizin Berlin

sysbio-relogio.com