Neue Ansätze gegen Therapieresistenz von Krebs entdeckt

Mutter pflegt ihr krankes Kind.

Fieber, Bauchschmerzen, Durchfall – diese Symptome sind häufig bei Kleinkindern und in der Regel harmlos. Manchmal können es jedoch auch die ersten Anzeichen für eine Krebserkrankung sein. (Quelle: PT DLR/BMBF)

Resistenzmechanismus bei Neuroblastom entschlüsselt

Von Gesa Terstiege und Melanie Bergs

Das drängendste Problem bei der Behandlung vieler Krebserkrankungen ist die Entwicklung von Therapieresistenzen. Wenn Tumore trotz Behandlung wieder zu wachsen beginnen, bleiben den Medizinern oft nur noch wenige Möglichkeiten, die Betroffenen zu retten. Dies gilt auch für das Neuroblastom, eine Krebsart, die bei kleinen Kindern auftritt. Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg haben jetzt herausgefunden, warum bestimmte Tumorzellen die Chemotherapie überleben. Dabei werden sie in der Fördermaßname „CancerSys“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. Ihre Erkenntnisse liefern ganz neue Ansätze für Krebstherapien.

Am Anfang klagen die kleinen Patienten häufig über starke Bauchschmerzen und Durchfall. Auch Erbrechen und Fieber können erste Anzeichen sein. Die Symptome wirken zunächst harmlos, die Diagnose allerdings ist ein Schock für die Eltern. Das Neuroblastom ist eine Krebsart, die ausschließlich bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt. In Deutschland gibt es jedes Jahr etwa 150 Neuerkrankungen. Die bösartigen Tumore entstehen aus Zellen des embryonalen Nervensystems. In den meisten Fällen wachsen sie im Bauch- und Beckenbereich. Der Krankheitsverlauf ist extrem unterschiedlich: Neuroblastome können sich spontan zurückbilden, aber auch sehr aggressiv fortschreiten und zum Tod führen. Bei einem schweren Verlauf der Erkrankungen überleben langfristig nur etwa 30 Prozent der Kinder.

Das größte Problem bei der Behandlung der Neuroblastome ist die Entwicklung einer Therapieresistenz. In vielen Fällen schrumpft der Tumor nach der ersten Chemotherapie zwar zunächst. Ab einem bestimmten Zeitpunkt beginnt er jedoch wieder zu wachsen und reagiert immer schlechter auf die Behandlung. Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg haben nun die Mechanismen der Therapieresistenz der Neuroblastomzellen entschlüsselt und so mögliche Angriffspunkte für neue Therapien gefunden. Um der Resistenzentwicklung der Tumorzellen auf die Spur zu kommen, haben sie erstmals „Live-cell-imaging“-Experimente verwendet. Dabei werden lebende Tumorzellen über längere Zeiträume unter dem Mikroskop beobachtet. Auf der Grundlage dieser Experimente haben die Forscher ein mathematisches Modell entwickelt, um das Wachstum der Zellen und ihre Reaktion auf eine Chemotherapie im Computer zu simulieren.

Warum überleben bestimmte Tumorzellen die Chemotherapie?

Am Beginn der Forschung stand die Vermutung, dass es bereits bei der ersten Chemotherapie zu einer Art Auslese resistenter Tumorzellen kommt: Während ein Großteil der Tumorzellen wie erwartet abstirbt, überleben bestimmte Zellen, wachsen erneut und bilden Metastasen. Um herauszufinden, was diese Zellen von den anderen unterscheidet, haben die Forscher das Wachstum einzelner Tumorzellen vor und nach der Chemotherapie kontinuierlich beobachtet. „Im Wechselspiel von Experiment und Modell haben wir herausgefunden, dass solche Krebszellen die Chemotherapie überleben können, die sich bei Therapiebeginn in einer bestimmten Phase des Zellzyklus befinden“, sagt Projektleiter Professor Thomas Höfer vom Deutschen Krebsforschungszentrum. So entwickeln vor allem diejenigen Krebszellen eine Therapieresistenz, die sich in einer Ruhephase vor der nächsten Zellteilung befinden. Diese Zellen überleben und vermehren sich erneut. Eine zentrale Rolle hierbei spielt das Krebsgen MYC, das bei aggressiven Tumoren häufig hundertfach vervielfältigt vorkommt. „Dieses Gen ist die treibende Kraft der Therapieresistenz. MYC-Proteine stimulieren das erneute Wachstum der Krebszellen“, erklärt der Mediziner und Tumorgenetiker Frank Westermann, Leiter des Neuroblastom-Referenzlabors am Deutschen Krebsforschungszentrum.

Neue Ansätze für verbesserte Therapien

Für die Forscher ergeben sich daraus ganz neue Ansatzpunkte für verbesserte Krebstherapien. „Unsere Resultate legen nahe, dass eine Kombination von Chemotherapie und neuen Medikamenten, die die Wachstumsschalter der Zellen beeinflussen, Kinder mit Neuroblastom im besten Fall vor einer Therapieresistenz schützen könnten“, sagt Höfer. „Hier kommt es vor allem auf die Reihenfolge an, in der die verschiedenen Therapien angewendet werden.“ Die Idee ist, dass die zusätzlichen Wirkstoffe soweit in das Wachstum der Tumorzellen eingreifen, dass sich möglichst wenige von ihnen während der Chemotherapie in der kritischen Phase des Zellzyklus befinden. In Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern Bayer testen die Heidelberger derzeit mehrere Möglichkeiten einer solchen Kombinations-Therapie. „Um unsere Resultate schnell für Kinder mit Neuroblastom anwendbar zu machen, konzentrieren wir uns auf bereits zugelassene oder in klinischen Studien getestete Wirkstoffe“, sagt Westermann. Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse auch auf andere Krebsarten übertragbar sind. Denn der MYC-Mechanismus tritt auch bei vielen Tumoren von Erwachsenen auf.

Dieser Beitrag ist im Newsletter des Bundesforschungsministeriums "Aktuelle Ergebnisse der Gesundheitsforschung" erschienen (Ausgabe 72/2015).

Kontakt

Prof. Dr. Thomas Höfer
Deutsches Krebsforschungszentrum
t.hoefer@dkfz.de
www.dkfz.de